Die Skoliose stellt eine teilweise strukturierte seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule mit einem Cobb-Winkel von mehr als 10° dar (1). Die betroffenen Wirbelkörper sind dabei seitlich verschoben (laterale Translation) und in sich rotiert. Gleichzeitig kommt es je nach Grad der Krümmung zu einem Längenverlust und einer Verformung des Rumpfes. Bei Kindern unter zehn Jahren treten Rotationsveränderungen der Wirbelsäulensegmente häufig vor der seitlichen Verbiegung auf (1).
Die jugendliche idiopathische Skoliose (AIS) ist mit 2-4% der Betroffenen im Alter von 10-16 Jahren die am häufigsten auftretende strukturelle Wirbelsäulenerkrankung (1). Die weltweite Inzidenz (Häufigkeit des Auftretens von Neuerkrankungen) der Skoliose bei Kindern und Jugendlichen zwischen dem 10. und 16. Lebensjahr liegt bei rund 5% und hat in den letzten Jahren zugenommen (2; 3).
Die Ursache der idiopathischen Skoliosen ist bis heute nicht eindeutig geklärt und bekannt. Es wird angenommen, dass idiopathische Skoliosen durch ein Missverhältnis des Wachstums von hinteren und vorderen Anteilen der Wirbelkörper entstehen. Das Wachstum der Wirbelbögen bleibt hinter dem der Wirbelkörper zurück, so dass das Höhenwachstum der Wirbelkörper behindert wird, was wiederum eine Rotation der Wirbelkörper bedingt. Die Seitabweichung der Wirbelsäule ist Folge der Rotation der Wirbelkörper. Ein erwiesener statischer Grund für eine Skoliose kann eine Beinlängendifferenz (von >2 cm) sein. Genetische Faktoren tragen etwa ein Drittel zum Krankheitsrisiko bei. Mutationen in den CHD7- und MATN1- Genen sind in einigen Fällen beteiligt.
Sobald sich eine idiopathische Skoliose manifestiert hat, besteht ein erhebliches Risiko der Progredienz (zunehmende Verschlimmerung der Skoliose), wobei während des pubertären Wachstumsschubs Progressionsraten von bis zu 12° pro Jahr (etwa 1 bis 2 Grad pro Monat) möglich sind (4).
Zu den Hauptfaktoren für eine Krümmungsprogredienz gehören das Alter, der Cobb-Winkel und die Rotationausprägung, die Hauptwachstumsphase (Skelettreife), die familiäre Häufung, der Körpertyp und das Geschlecht, wobei Mädchen ein höheres Risiko für eine Progression aufweisen als Jungen (1:4 bis 1:7 bei AIS) (5).
Eine fortschreitende Skoliose beeinträchtigt im Kindes- und Jugendalter vor allem das Aussehen, das Selbstbild sowie die psychische Gesundheit und damit die Lebensqualität der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Erst nach Wachstumsabschluss treten durch degenerative Veränderungen meist Spätfolgen, wie Rückenschmerzen, Atembeschwerden und zunehmende Körperdeformitäten auf.
Bei neuromuskulären Skoliosen oder anderen syndrombedingten Skoliosen entwickelt sich die Skoliose als Begleiterscheinung einer neurologischen oder genetischen Grunderkrankung. Bei der neuromyopathischen Skoliose liegt eine definierte Störung auf der Ebene des Nervensystems oder auf der Ebene der Muskulatur vor, die sekundär zur Wirbelsäulenverkrümmung führt (6).
Im Vergleich zur idiopathischen Skoliose ist es bei der neuromuskulären Skoliose viel wahrscheinlicher, dass sie fortschreitet und bis ins Erwachsenenalter persistiert, wobei die Häufigkeit der Skoliose mit der Schwere der Grunderkrankung und der Immobilität zunimmt (6).
Bei der spezifischen physiotherapeutischen Behandlung von idiopathischen und neuromyopathischen Skoliosen verfolge ich im Allgemeinen folgende Therapieziele (7).
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Aufhalten der Krümmungszunahme (Progredienzvermeidung),
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Dreidimensionale Wirbelsäulenkorrektur und Krümmungsaufrichtung durch Anbahnung und Verbesserung der intersegmentalen Rotations- und Streckfähigkeit,
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Stabilisierung der Korrekturhaltung durch Verbesserung der Haltungsleistungsfähigkeit,
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Anschulen und Erlernen der Korrekturhaltung auch während des Alltags durch Rekalibrierung eines korrigierten Haltungsgefühls,
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Anleitung und Begleitung eines gezielten Hausaufgaben-Übungsprogramms,
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Verbesserung der Compliance bei Korsettindikation,
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Verbesserung von Akzeptanz und Kosmetik,
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Verbesserung der Vitalkapazität,
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Regulierung des gestörten Muskeltonus,
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Schmerzreduktion und
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Entwicklung von Selbstkompetenz und geeigneten Bewältigungsstrategien im Umgang mit der Skoliose
Referenzen:
(1) Negrini et al. (2018). 2016 SOSORT guidelines: orthopaedic and rehabilitation treatment of idiopathic scoliosis during growth. Scoliosis and Spinal Disorders, 13 (3). doi: 10.1186/s13013-017-0145-8.
(2) Konieczny MR, Senyurt H, Krauspe R, (2013). Epidemiology of adolescent idiopathic scoliosis. J Child Orthop, 7:1. doi: 10.1007/s11832-012-0457-4.
(3) Grivas TB, Vasiliadis E, Mouzakis V, Mihas C, Koufopoulos G. (2006). Association between adolescent idiopathic scoliosis prevalence and age at menarche in different geographic latitudes. Scoliosis, 1:9. doi: 10.1186/1748-7161-1-9.
(4) Reamy BV, Slakey JB. (2001). Adolescent idiopathic scoliosis: review and current concepts. Am Fam Physician, 64:111.
(5) Lonstein JE, Carlson JM. (1984). The prediction of curve progression in untreated idiopathic scoliosis during growth. J Bone Joint Surg; 66:1061-71.
(6) AlNouri, M., Wada, K., Kumagai, G. et al. (2022). The incidence and prevalence of early-onset scoliosis: a regional multicenter epidemiological study. Spine J, 22 (9), 1540-1550.
https://doi.org/10.1016/j.spinee.2022.03.016.
(7) Roevenich, U. (2023). Schulungsskript zur Fortbildung Schroth-Therapeut. (Version 2023). Bad Sobernheim: Asklepios Katharina-Schroth-Klinik.